Wien (energate) - Die Einsparziele der EU beim Gasverbrauch sind für Österreichs Wirtschaft fast nicht zu schaffen. Der Ersatz von Gas durch andere Energieträger ist mit enormen Kosten verbunden. Und bei einem Wegfall der Gaslieferungen müsste jeder dritte heimische Betrieb, der Gas verwendet, seine Produktion zu 90 Prozent oder komplett stoppen. Das sind die zentralen Ergebnisse einer Umfrage, die das Wiener Complexity Science Hub im Auftrag der Wirtschaftskammer im Juli unter knapp 3.000 Unternehmen durchgeführt hat. Die Teilnehmer der Umfrage sind nicht repräsentantiv für die Wirtschaft insgesamt, ihre Antworten ergeben dennoch ein klares Bild. Zum Hintergrund: Rund 40 Prozent der in Österreich beschäftigten Menschen arbeiten in Unternehmen, die Gas verwenden. Am häufigsten dient Gas der heimischen Wirtschaft für Raumwärme und Warmwasser, bei knapp einem Fünftel der Befragten auch für Prozesswärme. Eine stoffliche Verwendung von Erdgas passiert unter anderem in der Chemieindustrie und der Pharmaindustrie.
"Vorgaben zu erfüllen wird kaum möglich sein"
Ende Juli haben sich die Regierungen der EU-Mitglieder darauf geeinigt, dass jedes Land zwischen August und Ende März seinen Gasverbrauch um 15 Prozent senken soll, wobei für einige Länder Ausnahmen gelten (energate berichetete). "Wir brauchen von der Politik einen Fast Track beim Energiewechsel. Gelingt das nicht, wird es in den nächsten neun Monaten kaum möglich sein, die Vorgaben der EU zu erfüllen", sagte dazu Jürgen Streitner, Leiter der Abteilung für Energiepolitik in der Wirtschaftskammer. Die Genehmigungen für neue Anlagen dauerten sehr lange und bei Betrieben gebe es eine große rechtliche Unsicherheit zu der Frage, wie lange sie die dann neu zu errichtenden Anlagen überhaupt verwenden können. Das Energieeffizienzgesetz (EEffG) liege immer noch nicht vor und seine derzeit ausgearbeitete Fassung sei für die Gaseinsparung nicht brauchbar, so Streitner. Das EEffG habe ebenso einen zusätzlichen preistreibenden Effekt wie die weiter steigenden Kosten für CO2-Zertifikate.
Betriebe senken Verbrauch und buchen Speicher
Dabei arbeiten Unternehmen bereits mit Hochdruck daran, ihren Gasverbrauch zu senken. Knapp 60 Prozent der Industrie und jeder dritte Gewerbebetrieb gibt an, Maßnahmen umzusetzen, etwa bei der Umstellung der Produktionsanlagen und der Heizsysteme auf andere Energieträger sowie einer Senkung des Verbrauchs. Zu ihnen gehört etwa der Lebensmittelkonzern Agrana oder der Milchverarbeiter Berglandmilch, der seine großen Standorte innerhalb eines Jahres ganz auf Biomasse und Biogas umstellen will (energate berichtete). Diese Einsparungen sind bereits sichtbar. Der Gasverbrauch in Österreich war im ersten Halbjahr um 6,4 Prozent niedriger als im selben Zeitraum des Vorjahres (energate berichtete).
Auch Speicherkapazitäten werden gebucht, um Gas einzuspeichern, allerdings nur von knapp zwei Prozent der Befragten. "Nur wenigen Unternehmen ist es selbst möglich, einen Gasvorrat anzulegen", erklärte Streitner dazu. Dazu gehört der Stahlriese Voestalpine, der zuletzt zum ersten Mal eigene Speicherkapazitäten bei der RAG Austria gebucht hat und dort nun LNG aus Übersee mit einem Volumen von 1,5 Mrd. kWh einspeichern lässt (energate berichtete).
Folgen eines Gaslieferstopps dramatisch
Recht dramatisch wären die Folgen eines Gaslieferstopps. Jedes dritte Unternehmen gibt an, bei einem kompletten Wegfall der Erdgasversorgung bis zu 100 Prozent seiner Produktion einstellen zu müssen. Bei einer Wiederinbetriebnahme könnte etwa jeder zweite Betrieb innerhalb einer Woche die Produktion wieder hochfahren. Knapp jede fünfte Firma rechnet hier mit einem Ausfall von mehr als acht Wochen.
Substitution: Teuer und für ein Drittel der Betriebe unmöglich
Die Reduktion von Gas durch andere Energieträger wäre für knapp 60 Prozent zumindest technisch machbar, aber mit hohen Kosten verbunden und kurzfristig nicht möglich. Lediglich fünf Prozent sagen, sie könnten einen großen Teil ihres Verbrauchs auf Strom, Heizöl oder Biogas umstellen. Ein Fünftel der Betriebe bräuchte dafür mindestens ein Jahr und knapp jedes dritte Unternehmen mehr als zwei Jahre. Ein weiteres knappes Drittel sagt, Gas auch nach zwei Jahren kaum oder gar nicht ersetzen zu können. Als die größten Probleme bei der Umstellung nennen knapp 70 Prozent die hohen Investitionskosten. Als problematisch bezeichnet mehr als jedes zweite Unternehmen den Preis und vor allem die Verfügbarkeit von Energie aus Erneuerbaren. /pm