Dortmund/Gelsenkirchen (energate) - Die Ampel-Koalition will den Wasserstoffhochlauf noch einmal beschleunigen. Wo es dabei aktuell noch hakt, welche Rolle Wasserstoff in verschiedenen Sektoren spielen kann und ob der Krieg gegen die Ukraine die Entwicklung beim Wasserstoff beschleunigt, darüber sprachen Jürgen Grönner, Geschäftsführer der Westnetz GmbH, und Arnt Baer, Leiter Politik bei Gelsenwasser, im Interview mit energate.
energate: Herr Grönner, Herr Baer: Die Politik redet nun schon länger über Wasserstoff als Instrument zur Dekarbonisierung. Wo stehen wir aus Sicht der Energiewirtschaft eigentlich?
Grönner: Für uns ist wichtig, dass die Fiktion der "all electric world" vom Tisch ist. Wir reden nicht mehr nur über die Stromwende, sondern denken integraler und thematisieren auch Wärme und Mobilität. Das ist aus unserer Sicht eine positive Entwicklung. Für uns als Westnetz ist Wasserstoff ohnehin kein neues Thema, in unserem Netzgebiet gibt es schon seit Jahren eine Elektrolyseanlage.
Baer: Ich würde auch behaupten, dass wir im Bereich Wasserstoff schon viel erreicht haben. Wir haben aber auch noch eine Strecke vor uns, wenn wir auf die Sektoren Industrie, Wärme und Mobilität schauen. In Nordrhein-Westfalen haben sich daher Energiewirtschaft und verschiedene Unternehmen zusammengeschlossen, um gemeinsam am Thema Wasserstoff zu arbeiten.
energate: Die alte Bundesregierung hatte beim Thema Wasserstoff vor allem den Industrie- und Mobilitätsbereich im Blick, weniger den Wärmemarkt. Hat sich diese Strategie verändert?
Baer: Im Koalitionsvertrag finden sich Hinweise, dass es bei Wasserstoff einen technologieoffenen Rahmen geben soll. Mich freut besonders, dass die Bundesregierung die Erzeugungsziele bei grünem Wasserstoff für 2030 auf 10.000 MW verdoppelt hat. Grundsätzlich ist es nicht falsch, zunächst die Industrie zu berücksichtigen, solange der Wasserstoff knapp ist. Die Entwicklung ist aber sehr dynamisch und wir werden ja auch nicht ohne Importe auskommen. Der Wärmemarkt bereitet mir einfach Sorgen, weil er sehr komplex ist. Aktuell haben wir sehr geringe Sanierungsraten und einen Mangel an Fachkräften, dennoch soll 2030 bereits 50 Prozent der Wärme grün sein.
energate: Die Ampel plant aber, beim Einbau von Gasheizungen bereits ab 2023 einen Erneuerbaren-Anteil von 65 Prozent Erneuerbare vorzuschreiben. Bedeutet das nicht das Aus für Gas bzw. Wasserstoff im Wärmemarkt?
Baer: Ob sich die Ampel hier einig ist, bleibt abzuwarten. Da höre ich verschiedene Dinge. Der Vorschlag aus dem Ministerium enthält wohl auch den Vorbehalt "möglichst". Das klingt für mich sehr vernünftig und man muss erstmal abwarten, wie das ausgestaltet wird. Es kann nur gemeint sein, dass die Heizungen in der Lage sein müssen, den 65 Prozent- Anteil zu nutzen. Diese Mengen an Erneuerbaren werden 2024 ja nicht ansatzweise zur Verfügung stehen. Weder Strom noch Wasserstoff.
energate: Wie sieht es bei der Netzinfrastruktur für Wasserstoff aus? Wo stehen wir, was fehlt noch?
Grönner: Die meisten heutigen Gasnetze sind bereits für Wasserstoff geeignet, auch deshalb ist Technologieoffenheit so wichtig. Dort, wo das noch nicht der Fall, müssen wir die Netze H2-Ready machen. Wir könnten also das Netz weiterentwickeln und den Wärmemarkt mitbedienen.
energate: Können Sie bei der Umstellung von Erfahrungen der Marktraumumstellung von L- zu H-Gas lernen?
Grönner: Als Gaswirtschaft sind wir an solche Umstellungsprozesse gewöhnt. In der Vergangenheit haben wir Stadtgas eingesetzt, dann kamen das Groningen-Gas sowie die Lieferungen aus Russland und Norwegen. Wir haben also alle notwendigen technischen Konzepte für die Umstellung.
energate: Wo sehen Sie noch rechtliche Hemmnisse für den Hochlauf von Wasserstoff?
Baer: Die Regelung ist derzeit von der Definition im EnWG bis zur Entflechtung auf parallele Wasserstoff- und Gasnetze ausgelegt. Für Gasnetzbetreiber ist es daher noch schwierig, sich mit Wasserstoff zu beschäftigen. Dabei ließe sich der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft vor allem über die Beimischung schnell vorantreiben. Damit würden wir Anwendern Sicherheit geben und einen Markt für die Erzeuger schaffen. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien sind wir ja seinerzeit ähnlich vorgegangen.
energate: Braucht es eine klare Definition von H2-Ready, um den Markthochlauf zu beschleunigen?
Grönner: Was wir vor allem brauchen ist Wasserstoff, da müssen wir uns noch große Mühe geben. Ein zentraler Faktor für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft sind aber auch Herkunftsnachweise. Für die Phase des Markthochlaufes werden wir zudem auch blauen Wasserstoff benötigen. Die Zukunft ist ganz klar grün, der Weg dahin ist aber mehrfarbig. Die 10.000 MW, die die Bundesregierung bis 2030 anstrebt, sind gut, aber nicht ausreichend. Wir brauchen auch andere Wasserstoffvarianten, um die Technologie auszurollen und zu zeigen, dass sie funktioniert.
energate: Kritiker verweisen darauf, dass der blaue Wasserstoff den Markthochlauf für grüne Alternativen erschweren könnte.
Baer: Ich höre immer wieder Kritik, dass blauer Wasserstoff die Entwicklung grüner Alternativen behindere, sehe dies aber nicht so. Eine echte Konkurrenz zum Erneuerbaren-Strom gibt es nämlich nicht. Was natürlich nicht passieren darf ist; blauen Wasserstoff ins System zu nehmen und dann alle weiteren Anstrengungen einzustellen. Ich glaube aber, dass der "Phase-Out" beim blauen Wasserstoff unmittelbar kommt, sobald sich ein Weltmarkt für grünen Wasserstoff etabliert.
energate: Die Bundesregierung geht davon aus, dass sich durch den russischen Angriff auf die Ukraine und die daraus folgende Suche nach neuen Energielieferanten auch die Entwicklung beim grünen Wasserstoff beschleunigt. Wie schätzen Sie das ein?
Grönner: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird die deutsche Energiepolitik dauerhaft verändern und erhöht den Transformationszwang. Wasserstoff dürfte nun eine noch größere Bedeutung als bisher spielen. Wir denken, dass die Transformation der Energiewirtschaft und damit auch die Entwicklung von grünem Wasserstoff und erneuerbaren Energien insgesamt beschleunigt wird.
energate: Wann glauben Sie ist beim Preis eine Wettbewerbsfähigkeit zwischen grünem Wasserstoff und den fossilen Alternativen erreicht?
Grönner: Aufgrund der hohen Dynamik im Energiesystem und der Neubewertung des Wertes der Versorgungssicherheit gehen wir davon aus, dass grüner Wasserstoff jetzt früher wettbewerbsfähig sein wird.
Die Fragen stellte Karsten Wiedemann.