Wien (energate) - Seit zehn Jahren ist Gudrun Senk bei Wien Energie für den Ausbau der Erneuerbaren verantwortlich. Derzeit managt Senk das gesamte Erzeugungsportfolio des Energieunternehmens sowie den Bereich Forschung und Energietechnologie. Seit Ende 2020 ist sie zudem als Geschäftsführerin der Wiener Wasserstoff GmbH für den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur in der Ostregion zuständig. Mit energate sprach die Technologieexpertin über die Transformation des Energiesystems.
energate: Frau Senk, Wien Energie will in den nächsten fünf Jahren 1,25 Mrd. Euro in neue Projekte rund um den Ausbau der Erneuerbaren investieren. Wo liegen für Sie die Schwerpunkte und Herausforderungen bei diesem Vorhaben?
Senk: Der Erfolg von Klimaschutz entscheidet sich in den Städten. Hier entstehen die meisten Emissionen, hier machen sich Auswirkungen der Klimakrise besonders bemerkbar. Mit meinem Team verantworte ich das komplette Anlagenportfolio, von der Forschung und Entwicklung bis zur Umsetzung und Optimierung. Die Dekarbonisierung von Wien ist dabei unser großes Ziel. Mit dem EAG haben wir jetzt auch den regulatorischen Rahmen für die kommenden Jahre.
Beim Erneuerbarenausbau liegt unser Fokus auf der Photovoltaik, die für die Großstadt am besten geeignet ist. Wiens Dächer, die wir künftig noch stärker für die Stromerzeugung beanspruchen werden, bieten hier viel Potenzial. Dächer allein werden aber nicht ausreichen. Daher prüfen wir, wie wir PV auch mit der Flächennutzung kombinieren können. Bei der größten PV-Anlage Österreichs in Wien-Donaustadt erforschen wir landwirtschaftliche Nutzung in Kombination mit Solarstromerzeugung.
Damit der Klimaschutz gelingt, müssen wir auch auf den Wärmebereich schauen. Mit einem der größten Fernwärmenetze Europas hat Wien eine sehr gute Ausgangssituation. Denn für die Dekarbonisierung muss "nur" die Energiequelle ausgetauscht werden. Das größte Potenzial dabei ist die Nutzung vorhandener Abwärme und Geothermie. Wir werden jede Wärmequelle nutzen müssen, die wir bekommen können. Für Steuerung, Optimierung und Effizienz setzen wir auf Innovationen, die mit der Digitalisierung möglich werden. Digitale Abbilder der Systeme, künstliche Intelligenz und vorausschauende automatisierte Instandhaltung sind spannende Themenfelder.
energate: Welche konkreten PV-Projekte sind geplant?
Senk: Bis 2030 werden wir die Solarstromerzeugung auf 600 MW verzehnfachen und 250.000 Haushalte mit Solarstrom versorgen können. Vor kurzem haben wir eine Anlage auf der Produktionshalle von Manner in Betrieb genommen sowie am Dach der Klinik Floridsdorf. Parallel werden wir weiter auf die bereits erwähnte Doppelnutzung in der Freifläche setzen.
energate: Wie sieht es bei Fernwärme und Geothermie aus?
Senk: Im Bereich Fernwärme ist unser wichtigstes Projekt die Erschließung von geothermischen Quellen. Im Rahmen unseres Forschungsprojektes "GeoTief" schauen wir uns den Wiener Untergrund an. Dafür haben wir seismische Messungen durchgeführt und ergänzende Untersuchungen gemacht, um ein möglichst genaues Bild von Wärmevorkommen unter der Stadt zu erstellen. Diese Forschungsarbeiten stehen kurz vorm Abschluss. Die Ergebnisse ermöglichen uns dann auch die Entscheidung, ob und wo Geothermieanlagen errichtet werden könnten.
Zusätzlich wollen wir jene Energie nutzen, die schon vorhanden ist, wie jene aus Großwärmepumpen und Wärmepumpenanlagen. Wir generieren Wärme aus der Abwärme von Klimaanlagen wie bei der UNO City oder die Abwärme aus Industrieprozessen. Ab 2022 kommt die Abwärme der Therme Wien mittels Wärmepumpen zur Fernwärmegewinnung zum Einsatz. So können wir künftig alleine mit dem gebrauchten Badewasser rund 1.900 Haushalte mit Wärme versorgen.
energate: Wasserstoff soll ja künftig eine größere Rolle spielen. Wo sehen Sie das Potenzial?
Senk: Wasserstoff wird vor allem im Bereich des Schwerlastverkehrs und in der Industrie zum Einsatz kommen. Gemeinsam mit den Wiener Stadtwerken, den Wiener Netzen und den Wiener Linien ist die Errichtung eines grünen Wasserstoff-Hubs für die Ostregion geplant. Noch heuer soll eine Wasserstofftankstelle in der Leopoldau in Betrieb gehen. Auch den Bau einer Elektrolyseanlage zur Eigenproduktion von grünem Wasserstoff nehmen wir in Angriff. Wir können von der Erzeugung über die Integration in das Energiesystem des urbanen Großraumes und den Vertrieb die gesamte Wertschöpfungskette betreiben.
Das Interview führte Irene Mayer-Kilani, Wien.